...aus dem "SPIEGEL" Archiv...
SINGAPUR
Ein Mann für letzte Stunden
Von Rüdiger Falksohn und Jürgen Kremb
Der autoritäre Stadtstaat hält einen Weltrekord an Hinrichtungen - jetzt lüftete der Henker vom Dienst seine Geheimnisse.
Wenn alles gelaufen wäre wie geplant, dann hätten sich die Junkies von Melbourne und Umgebung 26.000 Schüsse setzen können. 26.000-mal hätten sie Heroin auf ihre Spritzen ziehen können, ebenso oft wären sie weggenebelt in milchig-narkotische Sphären. Mancher wäre vielleicht nie zurückgekehrt, wer weiß.

Henker Singh: "Ich kann ja nichts anderes"
Nguyen Tuong Van jedenfalls hatte fast ein Pfund Rauschgift im Handgepäck, genug für 26.000 Nadeln, als er aus Kambodscha im Dezember 2002 heimflog nach Australien. Dort wollte der gelernte Verkäufer Schulden tilgen mit dem Stoff, doch in Singapur war Endstation. Polizisten ergriffen Nguyen im Transitbereich des Changi Airports, sie konfiszierten sein Pulver, sperrten ihn weg, dem 25-Jährigen wurde der Prozess gemacht. In Sachen Heroin fährt Singapurs Justiz eine glasklare Linie: Wer älter ist als 18 und mit mehr als 15 Gramm erwischt wird, der lernt den Henker kennen. Pro Einwohner gerechnet hat der autoritäre Stadtstaat eine dreimal höhere Quote vollstreckter Todesurteile als das statistisch auf Platz zwei rangierende Saudi-Arabien - allein zwischen 1991 und 2004 fanden 420 Hinrichtungen statt.
Am vorigen Freitag musste Nguyen büßen, um 6 Uhr morgens Ortszeit. Es nützte ihm nichts, dass halb Australien protestierte, Minister inklusive. Mitte der Woche hatte sogar die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihrem Staatsgast Lee Hsien Loong vergebens ins Gewissen geredet, Singapurs mächtigem Premier.
Kometengleich war Nguyen aus seiner Dealer-Anonymität herauskatapultiert worden, er war ein international bekannter Mann, als vor Sonnenaufgang sein Leben ausgelöscht wurde. Und es erschien als sonderbare Fügung des Schicksals, dass ausgerechnet Singapurs Spezialist für solche Fälle, der Henker der Nation, kurz zuvor gleichfalls aus dem Schatten getreten war und seine wohlgehütete Identität preisgegeben hatte.
Das Outing des 74-jährigen Darshan Singh so kurz vor Nguyens Exekution nahm sogleich Ausmaße einer Staatsaffäre an. Wie konnte sich dieser ominöse Mann ausgerechnet vor der publizitätsträchtigen Hinrichtung eines Ausländers demaskieren? Musste er sich zu allem Überfluss auch noch einer australischen Zeitung anvertrauen und in selbstgefälliger Pose abbilden lassen?
Während australische Anwälte um Gnade für ihren Landsmann baten, während Mutter und Bruder die Behörden anflehten, wenigstens noch einmal Nguyens Hand halten zu dürfen (was schließlich gestattet wurde), schwadronierte Singh in der Zeitung "Australian" über die Finessen seines Berufs. Begierig sog die Öffentlichkeit Details aus seinem bizarren Leben auf.
Seine Bestimmung zum Henker schien nur folgerichtig. Singh betrachtete den Job stets als "Brot und Butter" seines Lebens - als eine Arbeit, die das Schicksal für ihn vorgesehen hat: "Ich kann ja nichts anderes." Weder Hass noch Gerechtigkeitswahn trieben ihn, vielmehr versah er seine Aufgabe auf eine Weise, die den Delinquenten zumindest einen schmerzarmen Übergang ins Jenseits ermöglichen sollte.
Der bullige Darshan (sein Vorname bedeutet auf Hindi "Erscheinung" oder "Segnung") qualifizierte sich für seine Laufbahn mit dem Rohrstock. So strafte er in jungen Jahren die ersten Kriminellen ab. Jeder Hieb lohnte sich, er brachte 50 Cent. Singh prügelte sich gleichsam hoch.
Vor 46 Jahren bediente er zum ersten Mal die Falltür und den Strick - in Singapur vollzieht man Exekutionen mit dem Strang. Dem Verurteilten wird eine Schlinge um den Hals gelegt, die Luke öffnet sich, der Tod tritt durch Genickbruch ein. Es ist Sache des Henkers, dafür zu sorgen, dass er nicht qualvoll erstickt, zum Beispiel durch unsachgemäße Befestigung des Seils, oder dass der Kopf nicht abreißt.
Mehr als 850 Exekutionen führte Singh bislang als oberster und einziger Henker seines Landes aus - eine enorme Zahl, verglichen mit jenen exakt 1000 Hinrichtungen, die in den USA seit Wiedereinführung des Todesstrafe im Jahre 1976 vollzogen worden sind. Dort starb, ebenfalls am Freitag, der 57-jährige Mörder Kenneth Lee Boyd in Raleigh, North Carolina, durch eine Giftspritze.
"Ich sende dich in eine bessere Welt als diese, Gott segne dich", lauteten regelmäßig Singhs finale Worte. Umgerechnet 200 Euro betrug sein Entgelt pro Amtshandlung. Dafür nahm er es auch genau und wog die Todeskandidaten, um anhand der "Offiziellen Sturztabelle" des britischen Innenministeriums aus dem Jahre 1913 die korrekte Länge des Seils zu berechnen - damit sie nicht "zappeln wie die Hühnchen". Die richtige Fallhöhe ist für pflichtbewusste Henker äußerst wichtig.
Mit manchen Unglückseligen habe er sich regelrecht angefreundet, sagte Singh, einer habe ihn sogar um einen letzten Haarschnitt gebeten. Der Henker - ein einfühlsamer Mann für letzte Stunden? Andererseits hinderte emotionale Nähe den als umgänglich geltenden Fachmann nicht, an einem einzigen Tag gleich 18 Männer durch die Falltür sacken zu lassen, 3 von ihnen gleichzeitig. Es waren Gefangene, die 1963 bei einer Knastrevolte vier Aufseher umgebracht hatten.
Trotz aller Routine und aller Abgebrühtheit - der in zweiter Ehe verheiratete Singh, privat ein Fan des Fußballclubs Manchester United, hatte sich mit dem Zeitungsgeplauder zu sehr exponiert, als dass man ihm auch noch die Hinrichtung Nguyens hätte übertragen können, zumindest offiziell. Die Behörden verpassten ihm einen Maulkorb, angeblich suspendierten sie ihn und erwogen die Verpflichtung eines Ersatzmannes aus Malaysia, wo ebenfalls die Todesstrafe herrscht. Vor allem aber beschlossen sie wegen des Trubels, Nguyens Abgang aus dieser Welt ohne Zeugen zu Ende zu bringen.
Reporterscharen warteten die ganze Nacht vor des Henkers Wohnung, um auf dem Sprung zu sein, falls Darshan Singh doch noch zur Arbeit ginge. Aber der blieb unsichtbar - ein Hinweis auf das stille Wirken eines Spezialisten aus Malaysia?
Auch vor dem von fünf Meter hohen Mauern umgebenen Exekutionstrakt des Changi-Gefängnisses hatten sich Menschen versammelt, Angehörige, Passanten, Aktivisten gegen die Todesstrafe wie der Anwalt Ravi. Der wusste, wie dort drinnen vorgegangen wird, und informierte die Umstehenden über den makabren Countdown:
"5.54 Uhr - jetzt wird ihm die Kapuze aufgesetzt."
"5.55 Uhr - jetzt muss er sich auf die Falltür stellen."
"6.00 Uhr - jetzt geht die Falltür auf. Nguyen stirbt wie ein Tier."
Ein Mann für letzte Stunden
Von Rüdiger Falksohn und Jürgen Kremb
Der autoritäre Stadtstaat hält einen Weltrekord an Hinrichtungen - jetzt lüftete der Henker vom Dienst seine Geheimnisse.
Wenn alles gelaufen wäre wie geplant, dann hätten sich die Junkies von Melbourne und Umgebung 26.000 Schüsse setzen können. 26.000-mal hätten sie Heroin auf ihre Spritzen ziehen können, ebenso oft wären sie weggenebelt in milchig-narkotische Sphären. Mancher wäre vielleicht nie zurückgekehrt, wer weiß.

Henker Singh: "Ich kann ja nichts anderes"
Nguyen Tuong Van jedenfalls hatte fast ein Pfund Rauschgift im Handgepäck, genug für 26.000 Nadeln, als er aus Kambodscha im Dezember 2002 heimflog nach Australien. Dort wollte der gelernte Verkäufer Schulden tilgen mit dem Stoff, doch in Singapur war Endstation. Polizisten ergriffen Nguyen im Transitbereich des Changi Airports, sie konfiszierten sein Pulver, sperrten ihn weg, dem 25-Jährigen wurde der Prozess gemacht. In Sachen Heroin fährt Singapurs Justiz eine glasklare Linie: Wer älter ist als 18 und mit mehr als 15 Gramm erwischt wird, der lernt den Henker kennen. Pro Einwohner gerechnet hat der autoritäre Stadtstaat eine dreimal höhere Quote vollstreckter Todesurteile als das statistisch auf Platz zwei rangierende Saudi-Arabien - allein zwischen 1991 und 2004 fanden 420 Hinrichtungen statt.
Am vorigen Freitag musste Nguyen büßen, um 6 Uhr morgens Ortszeit. Es nützte ihm nichts, dass halb Australien protestierte, Minister inklusive. Mitte der Woche hatte sogar die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihrem Staatsgast Lee Hsien Loong vergebens ins Gewissen geredet, Singapurs mächtigem Premier.
Kometengleich war Nguyen aus seiner Dealer-Anonymität herauskatapultiert worden, er war ein international bekannter Mann, als vor Sonnenaufgang sein Leben ausgelöscht wurde. Und es erschien als sonderbare Fügung des Schicksals, dass ausgerechnet Singapurs Spezialist für solche Fälle, der Henker der Nation, kurz zuvor gleichfalls aus dem Schatten getreten war und seine wohlgehütete Identität preisgegeben hatte.
Das Outing des 74-jährigen Darshan Singh so kurz vor Nguyens Exekution nahm sogleich Ausmaße einer Staatsaffäre an. Wie konnte sich dieser ominöse Mann ausgerechnet vor der publizitätsträchtigen Hinrichtung eines Ausländers demaskieren? Musste er sich zu allem Überfluss auch noch einer australischen Zeitung anvertrauen und in selbstgefälliger Pose abbilden lassen?
Während australische Anwälte um Gnade für ihren Landsmann baten, während Mutter und Bruder die Behörden anflehten, wenigstens noch einmal Nguyens Hand halten zu dürfen (was schließlich gestattet wurde), schwadronierte Singh in der Zeitung "Australian" über die Finessen seines Berufs. Begierig sog die Öffentlichkeit Details aus seinem bizarren Leben auf.
Seine Bestimmung zum Henker schien nur folgerichtig. Singh betrachtete den Job stets als "Brot und Butter" seines Lebens - als eine Arbeit, die das Schicksal für ihn vorgesehen hat: "Ich kann ja nichts anderes." Weder Hass noch Gerechtigkeitswahn trieben ihn, vielmehr versah er seine Aufgabe auf eine Weise, die den Delinquenten zumindest einen schmerzarmen Übergang ins Jenseits ermöglichen sollte.
Der bullige Darshan (sein Vorname bedeutet auf Hindi "Erscheinung" oder "Segnung") qualifizierte sich für seine Laufbahn mit dem Rohrstock. So strafte er in jungen Jahren die ersten Kriminellen ab. Jeder Hieb lohnte sich, er brachte 50 Cent. Singh prügelte sich gleichsam hoch.
Vor 46 Jahren bediente er zum ersten Mal die Falltür und den Strick - in Singapur vollzieht man Exekutionen mit dem Strang. Dem Verurteilten wird eine Schlinge um den Hals gelegt, die Luke öffnet sich, der Tod tritt durch Genickbruch ein. Es ist Sache des Henkers, dafür zu sorgen, dass er nicht qualvoll erstickt, zum Beispiel durch unsachgemäße Befestigung des Seils, oder dass der Kopf nicht abreißt.
Mehr als 850 Exekutionen führte Singh bislang als oberster und einziger Henker seines Landes aus - eine enorme Zahl, verglichen mit jenen exakt 1000 Hinrichtungen, die in den USA seit Wiedereinführung des Todesstrafe im Jahre 1976 vollzogen worden sind. Dort starb, ebenfalls am Freitag, der 57-jährige Mörder Kenneth Lee Boyd in Raleigh, North Carolina, durch eine Giftspritze.
"Ich sende dich in eine bessere Welt als diese, Gott segne dich", lauteten regelmäßig Singhs finale Worte. Umgerechnet 200 Euro betrug sein Entgelt pro Amtshandlung. Dafür nahm er es auch genau und wog die Todeskandidaten, um anhand der "Offiziellen Sturztabelle" des britischen Innenministeriums aus dem Jahre 1913 die korrekte Länge des Seils zu berechnen - damit sie nicht "zappeln wie die Hühnchen". Die richtige Fallhöhe ist für pflichtbewusste Henker äußerst wichtig.
Mit manchen Unglückseligen habe er sich regelrecht angefreundet, sagte Singh, einer habe ihn sogar um einen letzten Haarschnitt gebeten. Der Henker - ein einfühlsamer Mann für letzte Stunden? Andererseits hinderte emotionale Nähe den als umgänglich geltenden Fachmann nicht, an einem einzigen Tag gleich 18 Männer durch die Falltür sacken zu lassen, 3 von ihnen gleichzeitig. Es waren Gefangene, die 1963 bei einer Knastrevolte vier Aufseher umgebracht hatten.
Trotz aller Routine und aller Abgebrühtheit - der in zweiter Ehe verheiratete Singh, privat ein Fan des Fußballclubs Manchester United, hatte sich mit dem Zeitungsgeplauder zu sehr exponiert, als dass man ihm auch noch die Hinrichtung Nguyens hätte übertragen können, zumindest offiziell. Die Behörden verpassten ihm einen Maulkorb, angeblich suspendierten sie ihn und erwogen die Verpflichtung eines Ersatzmannes aus Malaysia, wo ebenfalls die Todesstrafe herrscht. Vor allem aber beschlossen sie wegen des Trubels, Nguyens Abgang aus dieser Welt ohne Zeugen zu Ende zu bringen.
Reporterscharen warteten die ganze Nacht vor des Henkers Wohnung, um auf dem Sprung zu sein, falls Darshan Singh doch noch zur Arbeit ginge. Aber der blieb unsichtbar - ein Hinweis auf das stille Wirken eines Spezialisten aus Malaysia?
Auch vor dem von fünf Meter hohen Mauern umgebenen Exekutionstrakt des Changi-Gefängnisses hatten sich Menschen versammelt, Angehörige, Passanten, Aktivisten gegen die Todesstrafe wie der Anwalt Ravi. Der wusste, wie dort drinnen vorgegangen wird, und informierte die Umstehenden über den makabren Countdown:
"5.54 Uhr - jetzt wird ihm die Kapuze aufgesetzt."
"5.55 Uhr - jetzt muss er sich auf die Falltür stellen."
"6.00 Uhr - jetzt geht die Falltür auf. Nguyen stirbt wie ein Tier."

9 Comments:
Hey Knipsi mit dem Zippi *greetstoyourgirlfriend*
Nun, Paul macht einen auf.."ich bin nicht hier um spass zu haben", aber Greg und ich sind immer unterwegs. Seit gestern sind wir auch "in touch" mit zwei Maedels aus Daenemark ;-)
Peace out to Singi
Chris
Hi!
Hab eben erst gelesen was Du geschriebn hast...oh man, und unter sowas schreib ich meine Gruesse...fukk...echt ne harte Story die unter die Haut geht...
Das Singi steht fuer Singapur und nicht fuer den Henkerdepp!
Chris
PS: Loesch bitte den vorhergehenden Post...Danke
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